Ein entlaubter Zweig mit filigranen Verästelungen schiebt sich vor eine ockerfarbene Fläche. Seine räumliche Position bleibt ambivalent: Er scheint sich vor dem farbigen Hintergrund zu befinden und durchzieht ebendiesen Hintergrund gleichzeitig wie ein Riss. Dem entspricht ein eigentümliches Changieren des Bildes zwischen Raum und Fläche. Die nach hinten versetzte Hauswand mit Fenster, in dem sich die umliegende Bebauung als Bild im Bild spiegelt, tritt über die frontale Ansicht nach vorne. Beide Wände gehen auf diese Weise in eine farbige Flächenkomposition über. Könnte der tote Zweig noch als Sinnbild für das Verhältnis von Natur und Stadt herhalten, wird schon hier deutlich, dass es Mara Julia Engelsberger um urbane Oberflächen und ihr eigenes Bildpotential geht. Diese Oberflächen sind weder glatt noch weiß, nicht gläsern und nicht aus Metall. Sie sind wie im Fall der Hausfassaden aus farbigem Rauputz oder in dem der Straße aus verschiedenen Asphaltbelägen. Hier wie dort brechen offene und notdürftig ausgebesserte Risse im Material die Boden- und Wandversiegelungen auf. Wo solche Kerben und Furchen fehlen, werden die Flächen von anderen Elementen, eben auch solchen der Natur, zerschnitten.
Stadtraumfrakturen nennt Mara Julia Engelsberger ihre Arbeit und
greift damit die Bedeutungen des Brechens und Zerbrechens von etwas
Physischem auf. Auch der fast tote Stumpf einese Busches, an dessen
Schnittstellen sich kaum sichtbar neue grüne Triebe bilden, fungiert im
Bild vor allem als formales vertikales Element, das wie die Fallrohre an
den Hausfassaden den Bildraum durchschneidet. Der perspektivische Blick
von oben auf die Straße zeigt nichts Anderes: Raum kippt in eine dieses
Mal horizontal gegliederte Fläche um. Boden wird Wand, von der sich der
einen Schlagschatten werfende Körper eines Autos reliefartig abhebt.
Durch die Farbigkeit der Fassaden und Objekte haftet den
Flächenkompositionen Mara Julia Engelsbergers etwas Künstliches an. Die
Risse in den Oberflächen hingegen, die kleinen Verletzungen an den
Außenhäuten des Gebauten, wie auch die im Bild erhaltene Körnigkeit des
Rauputzes verleihen ihren Fotografien ein taktiles Element.
- Prof. Dr. Kirsten Wagner